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Wer eine Schlafwagenreise tut, kann was erleben

In Europa fliege ich nicht. «Da gibt es genug Züge, Busse und Schiffe», behaupte ich mal. Die Reise ins rumänische Siebenbürgen war dann nicht ohne Strapazen – doch das gehört eigentlich zum Reisen, oder?

Was ärgerte ich mich! Da hatte ich bei den Österreichischen Bundesbahnen ein günstiges Ticket für den Nachtzug Wien-Bukarest gefunden – und einen Tag später war es doppelt so teuer. Und es liess sich kein 2er-Schlafwagenabteil buchen, nur zwei einzelne …

Die Rückreise buchte ich im Netz bei den SBB. Halbwegs, denn der Prozess liess sich nicht abschliessen. Dann wartete ich vergeblich auf die Rückmeldung – und fragte später telefonisch nach, was los sei. Man entschuldigte sich. Der Zug, den ich hatte buchen wollen, war plötzlich aus dem Fahrplan gestrichen.

Uff, meine customer journey war schon drei Monate vor unserer Reise ziemlich lang und kompliziert. Der Fahrplan lautete schliesslich: Zürich-Wien im Nachtzug, ein Tag Stopover in Wien, Nachtzug Wien-Brasov. Zurück gings ab Bukarest um 14 Uhr, am nächsten Morgen waren wir wieder in Wien. Abends mit dem Nachtzug zurück nach Zürich. 625 Franken pro Person kostete der Spass. Hoffentlich geht das Buchen heute mit dem neuen Portal besser!

Dann standen wir um 21:30 Uhr in Zürich auf dem Perron, und es gab keine Schlafwagen: ausgefallen. Ersatzweise bot man uns ein 1.Klass-Abteil mit Auszieh-Sitzen an. Bequem wäre anders. Entsprechend zerknittert kamen wir in Wien an. Dafür gabs dann wider Erwarten ein Zweierabteil mit Dusche und WC für die Weiterfahrt, mit bärbeissigem Schaffner und billigem Prosecco garniert. Als Entschädigung eine wunderschöne Fahrt durch die Abenddämmerung nach Nordosten, ich hing am Fenster und schaute nur.

Um zwei Uhr nachts weckten uns die ungarischen Grenzer*innen, eine Stunde später die rumänischen. Gute Nacht!

Trotzdem kamen wir ziemlich ausgeruht in Siebenbürgen an, erkundeten Brasov, fuhren nach Vulcan, von wo aus wir zum dreitägigen Karpaten-Trekking starteten. (Zum Reiseprogramm siehe hier)

Die Rückfahrt von Bukarest nach Wien ist eine Nummer für sich. Die ersten paar hundert Kilometer zuckelt der Zug durch das riesige Land, entlang Industrieruinen und Monokulturen, vorbei an winzigen Bahnhöfen, vor denen zuverlässig das Stationspersonal strammsteht. Hinter Brasov setzen wir uns in den Speisewagen, dessen 2.-Klass-Hälfte zum Fumoir umfunktioniert wurde. Es regnet ein bisschen zum Dach rein. Seelenruhig nimmt das Personal die Pfützen auf. In der ersten riecht es so streng nach schlechtem Bratfett, dass wir mit ungutem Gefühl einen Salat bestellen; er war essbar…

Dafür lernen wir dort einen pensionierten deutschen Bähnler kennen, der uns erklärt, dass die Geleise halt aus altem Russenstahl seien, der sich langsam auflöst. Deshalb das Tempo von vielleicht 40 km/h. Das schaukelt dich schön in den Schlaf.

In Wien kommen wir pünktlich an, stellen das Gepäck ein und verbringen einen gemütlichen Tag in der hitzedampfenden Metropole. Zum Glück ist die 1.-Klass-Lounge im Wiener Hauptbahnhof gekühlt und zugänglich für Schlafwagen-Reisende.

Eine letzte Aufregung dann beim Bezug unseres Schlafwagenabteils im Nightjet: Es ist wahnsinnig eng. Meine Frau macht Atemübungen, ich weiss nicht, wo ich meine Tasche hinstellen soll. Absurd. Dafür ist erstmals der Service freundlich.

Fazit: Mehrtägige Schlafwagen-Reisen bewegen sich zwischen Abenteuer und uneingelösten Komfortversprechen. Wenn man sich dessen bewusst ist, findet man zen-mässig zur richtigen Reise-Mentalität.