Etwas erschöpft stehe ich an der Reling der «Excellent» und blicke hinab auf die letzten Autos, die im Hafen von Genua im Bauch der Fähre verschwinden. In letzter Minute haben wir es noch aufs Schiff geschafft. Denn als Fussgänger fühlt man sich im Hafen von Genua ziemlich allein gelassen, der Weg aufs Schiff gestaltet sich kompliziert. Die kommenden zweieinhalb Tage verbringen wir auf der «Excellent», bis wir, nach einem Zwischenstopp in Barcelona, in den Hafen von Tanger in Marokko einlaufen.
Die Schiffsfahrt nach Tanger ist Teil der Rundreise, die meine Freundin und ich geplant haben. Sie führt uns über diverse Stationen von Zürich nach Marrakesch und wieder retour – und das ganz ohne Flugzeug: Mit dem Zug geht es von Zürich nach Genua. Von dort reisen wir mit besagter Fähre nach Tanger. Nach einem fünftägigen Aufenthalt und zahlreichen Tagesausflügen geht es weiter mit dem marokkanischen TGV nach Marrakesch. Dort nehmen wir uns knapp eine Woche Zeit, um die rote Stadt und die nahe Wüste zu erkunden. Danach treten wir mit dem TGV die Rückreise nach Tanger an – mit einem eintägigen Zwischenstopp in Casablanca. In Tanger geht’s mit der Fähre zurück nach Europa, diesmal in das beschauliche französische Hafenstädtchen Sète. Tags darauf reisen wir mit dem TGV zurück nach Zürich. Die gesamte Reisedauer: 19 Tage.
Wäre die Reise mit dem Flugzeug nicht einfacher und vor allem schneller? Ganz bestimmt, aber ich möchte meine Flüge reduzieren und höchstens einmal pro Jahr mit dem Flugzeug verreisen. Das ist zwar immer noch zu viel und sprengt mein persönliches Emissionsbudget bei weitem. Darüber täuscht auch der CO2-Ablasshandel fürs gute Gewissen nicht hinweg. Aber immerhin: Wären wir nach Marrakesch geflogen, hätte ich mein CO2-Budget mit weiteren 0.8 Tonnen belastet.
Nachdem wir uns vom Sprint durch den Hafen von Genua erholt haben, machen wir uns auf Erkundungstour: Seine besten Jahre hat die «Excellent» ganz offensichtlich bereits hinter sich. Das etwas heruntergekommene Interieur erinnert mich an den Blockbuster «Speed 2: Cruise Control» mit Sandra Bullock aus den 90er-Jahren. Auf dem Schiff herrscht ein buntes Treiben – während die Crew dem italienischen Dolce Far Niente fröhnt, wähnt man sich auf den Decks mitten in einem marokkanischen Souk – Kreuzfahrt-Feeling kommt auf der Fähre nicht auf. Von den angepriesenen Angeboten gibt’s kaum etwas zu sehen: Im Pool ist kein Wasser, das Casino ist geschlossen und von den vier Restaurants ist nur eines geöffnet. Der Fitnessraum und die Bibliothek bleiben bis zuletzt unauffindbar. Stattdessen spielen Kinder auf den Gängen Fussball und in den Kabinen wird mit dem Gaskocher gekocht. Die Männer sitzen rauchend und Karten spielend an den Tischen und trinken Tee, die Frauen scheinen unsichtbar. Wir bemerken: Touristen hat es auf dem Schiff kaum, schon gar keine, die ohne Auto oder Töff unterwegs sind. Und doch bin ich kaum je entspannter und entschleunigter gereist als mit der Autofähre: Die Atmosphäre an Bord ist zurückhaltend aber gleichzeitig familiär. Es ist das erste Mal seit langem, dass ich mehr als 24 Stunden keinen Internetzugang habe, der mich ablenkt. Endlich habe ich Zeit, einfach die Seele baumeln zu lassen, zu lesen oder die eindrücklichen Sonnenuntergänge auf dem offenen Meer zu geniessen. Weshalb erhalten Schiffsreisen – abgesehen von Kreuzfahrten – bloss so wenig Zuspruch?
Während ich auf einem der wenigen Plastikliegestühle auf dem Deck ausspanne, beobachte ich den tiefschwarzen Rauch, der aus den Kaminen strömt. Und ich frage mich: Reise ich tatsächlich nachhaltiger als mit dem Flugzeug? Eine abschliessende Antwort auf diese Frage finde ich auch nach meiner Reise nicht: Es gibt kaum Informationen dazu, wie schädlich das Reisen mit einer Autofähre ist, besonders als Passagier ohne Fahrzeug. Schiffsreisen scheinen zu wenig beliebt, als dass sie den Weg in die gängigen Emissionsrechner finden würden. Ein Berechnungsversuch hat daslamm.ch unternommen. Das eindrückliche Ergebnis: Über 40 Mal weniger Emissionen verursacht die Fähre im Vergleich zum Flugzeug. Ob das tatsächlich stimmt, bleibt offen. Entspricht dieser Wert aber auch nur annährend den Tatsachen, ist es höchste Zeit, aufs Schiff umzusteigen!